Denken ist nach der Ansicht vieler eng an Sprache gebunden. Dabei wird leicht übersehen, dass der "sprachliche" Begriff in vielen Fällen nur die Worthülse für einen empirischen Begriff ist – eigentlich ein Wort für ein verinnerlichtes Bild von etwas Wahrgenommenem oder Wahrnehmbarem. Diese Feststellung ist wichtig für das Verstehen unseres methodischen Ansatzes.
Die sprachliche Verpackung eines empirischen Begriffes dient der Kommunikation, damit ich meinem Gegenüber klar machen kann, an was ich denke oder was ich will. Wenn wir z. B. „Frisör“ hören oder lesen, erscheinen vor unserem geistigen Auge entsprechende "B i l d e r" (hier lässt sich sehr gut auf neurobiologischer [z.B. wie funktionieren Erinnerungsbilder] oder auf philosophischer Schiene [z.B. Universalienproblem] weiterdenken).
Aussagen wie „das Denken ist an die Sprache gebunden“ verführen zu der Annahme, komplexe gedachte Systeme, wie z. B. die Mathematik, seien sprachliche Systeme. Die durch alle Schichten reichende starke Präsenz dieser Annahme tritt bei Betrachten der pädagogischen Praxis in den verschiedenen Einrichtungen und in den Schulbüchern klar hervor.
Und wenn dann die Mathematik nur ein Wortspiel in den Köpfen der Menschen ist, dann verwenden wir hier dafür den Arbeitsbegriff "Versprachlichung der Mathematik".
Welches sind die Symptome für die „Versprachlichung der Mathematik"?
Hier einige Beispiele:
Ein konkretes Beispiel für die "Versprachlichung" der Mathematik, symptomatisch für den allgemein begangenen, aber sehr problematischen Weg in der Mathematikdidaktik:
Vorweg eine allgemein anerkannte Prämisse (der wir auch zustimmen): Das persistierende zählende Rechnen ist kontraproduktiv bei der Entwicklung des mathematischen Denkens bzw. einer ausreichend guten Rechenleistung.
Das folgende Beispiel ist der Publikation des bifie, Bildung-Standards, Themenheft Mathematik „Kommunizieren“, entnommen, Jänner 2020 (www.bifie.at/wp-content/uploads/2017/06/bist_m_vs_themenheft_kommuni-zieren_2011-07-16.pdf)
Unter Punkt 5.3 „Geeignete Anschauungsmittel“, 5.3.1 Zwanzigerfeld - Umsetzung im Unterricht – wird unter anderem folgende Strategie empfohlen:
Zitat: „a) Tauschaufgaben
Aufgabe und Tauschaufgabe haben immer dasselbe Ergebnis. Dadurch wird die Zahl der auswendig zu lernenden Einspluseinsaufgaben auf ca. die Hälfte reduziert.“
Zwei Gedanken, die dieser Empfehlung zugrunde liegen, halten wir für typische Merkmale eines in die falsche Richtung weisenden Ansatzes, dem aber in unserem Bildungswesen allgemein gefolgt wird. Hierzu unsere Anmerkungen:
Von beidem, zählendes Rechnen und Auswendiglernen, wird in der Fachliteratur ausdrücklich abgeraten - an einer anderen Stelle auch vom bifie. Offensichtlich widerspricht in dieser Publikation des bifie (und damit ist das bifie leider nicht allein) Expertenmeinung der Expertenmeinung oder man ist sich der Dinge nicht bewusst, die wir oben Eingewendet haben. (Wir beobachten generell eine große Diskrepanz zwischen Forschungsergebnissen und Empfehlung der Forschenden an die Praxis!!!)
Durch unser Konzept sind keine Tauschaufgaben nötig, weil das Denksystem weder auf dem Zahlenstrahl noch auf auswendig gelernten Rechensätzchen beruht. Mengenbeziehungen, wie sie in den Einspluseinsaufgaben ohne nachhaltige Anschauung nur sprachlich abgespeichert werden, sind nach unserem Ansatz als Mengenbilder bleibend gespeichert (empirische Begriffe). Diese Bilder (neurobiologisch: sie vereinfachen die Rekonstruktionen empirischer Begriffe) beinhalten anschaulich zugleich auch alle möglichen mathematischen Operationen (Grundrechnungsarten). Vorgänge und Mengenoperationen, wie sie in Textaufgaben beschrieben werden, sind in diesen Mengenbildern bereits angelegt.
Die „Versprachlichung" der Mathematik sehen wir als Grundübel in der Grundschule an. Den Erfolg der von uns vertretenen Rechen-Lernmethode führen wir auf die einprägsame Veranschaulichung mathematischer Begriffe zurück – wichtige Informationen werden in eine leicht erinnerbare, leicht rekonstruierbare Form gebracht (vgl. dazu die "Grundvorstellungen" bei Wartha & Schulz).
Nun wollen wir aber nicht falsch verstanden werden. Natürlich spielt die Sprache in den mathematischen Kompetenzen eine wichtige Rolle – sie ist aber keinesfalls die „Substanz“ der Rechenleistung. Sie und die mathematisch-graphischen Symbole sind H i l f s mittel der Kommunikation, Operation und Dokumentation. Wenn jedoch das mathematische Denken auf diese Hilfsmittel reduziert wird (Erwachsenendenken), so werden dadurch jene Probleme geschaffen, die den schulischen Alltag vielerorts prägen.